SmartWeekly 01.05.2020 | Page 27

Aktuell 27 KOLUMNE König Blauzahn und die Folgen von Lutz Rossmeisl, Brancheninsider Wir sind umgeben von Normen und Standards. Sie bestimmen unseren Alltag. Dass wir Glühbirnen problemlos wechseln können, verdanken wir genorm- ten Schraubsockeln wie E27 und E14. Dass wir einheitliche Papierbogen haben, die in ein Briefkuvert passen und in Prin- tern bedruckt werden können, verdanken wir der Norm DIN A4. Und dass wir Harald Blauzahn digitale Daten ka- blieb von den bellos von einem Gerät zum nächs- Unwägbarkeiten ten transportieren verschont, mit können, verdan- ken wir modernen denen wir uns Funkstandards, un- heute herumschlagen. ter anderem auch Bluetooth, dessen Name sich von Harald Blauzahn herleitet, einem berühmten dänischen König im 10. Jahrhundert. Weil König Bluetooth jedoch nur Na- mensgeber, nicht aber Erfinder des gleich- namigen Funkstandards war, blieb er von den zahlreichen Hürden und Unwäg- barkeiten verschont, mit denen sich die Menschen heutzutage bei einem Nor- mungs- oder Standardisierungs-Verfahren herumschlagen müssen. In reinstem Bürokraten-Deutsch heißt es zwar ganz harmlos und unverfänglich: „Normung ist die planmäßige, durch inte- ressierte Kreise gemeinschaftlich durch- geführte Vereinheitlichung von materiel- len und immateriellen Gegenständen zum Nutzen der Allgemeinheit.“ In Wahrheit ist ein Standardisie- rungs-Verfahren jedoch in vielen Fällen ein endlos quälender Vorgang, ähnlich dem gefürchteten Aufenthalt in Dantes Vorhöl- le. Denn die verschiedenen Schritte in dem Verfahren werden so lange wiederholt, bis ein „befriedigender Status“ erreicht ist und keine wesentlichen Einsprüche mehr erfol- gen. Das kann dauern. Zum Glücksspiel mit ungewissem Aus- gang wird der Standardisierungs-Prozess vollends durch die Tatsache, dass in den Arbeitsgruppen für technologische Stan- dards neben kompetenten Wissenschaft- lern auch Produzenten, Anwender und politische Amtsträger zu Das Anlernen Wort kommen. Das heißt, dass zu den „interessier- neuer Geräte hat ten Kreisen“ auch Leu- ein gravierendes te gehören können, die grundsätzlich alles blo- Sicherheitsloch. ckieren, die von Technik keinen blassen Schimmer haben und die völlig Ahnungslosen, bei denen man den Eindruck gewinnen kann, sie wären entsendet, um zu Hause keinen Schaden anzurichten. Bluetooth gibt es seit 1994. Freispre- chen im Auto mit Bluetooth auch schon über 20 Jahre. Dennoch gibt es immer wieder Probleme beim Anlernen, wenn ich einen anderen Mietwagen besteige. Als Anwender erwarte ich von einem „Stan- dard“ etwas anderes. Du auch? Am Beispiel des Funkstandards „ZigBee“ brachten Informatiker der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Mannheim vor zwei Jahren eine gravieren- de Schwachstelle auf den Punkt: Das Anlernen neuer Geräte hat in dem „Stan- dard“ ein gravierendes Sicherheitsloch – auch noch 10 Jahre nachdem ZigBee Security überhaupt in erstmals Home Control vorgesehen hat und die Lücke sogar aus der Spe- Wenn du es jetzt im zifikation klar er- Hintergrund sichtlich ist. Was kann der Kunde rumpeln hörst, erwarten: Statt könnte es sein, dass universeller Inte- roperabilität ein sich König Blauzahn Sammelsurium in seinem Grab unterschiedlicher, inkompatibler Ver- umdreht. sionen eines so- genannten „Standards“, die alle eines ge- meinsam haben: Die gleiche gravierende Sicherheitslücke. Wenn du es jetzt im Hintergrund laut rumpeln hören, könnte es sein, dass sich König Blauzahn in seinem Grab umdreht. Zig­Bee hat zum Glück keinen Namens­geber. Lutz Rossmeisl blickt auf mehr als 40 Jahre Branchen­ erfahrung zurück und besitzt höchste Fachkompetenz. Er diskutiert und analysiert aktuelle Marktentwicklungen und bringt Themen gekonnt auf den Punkt.